Vor ungefähr zehn Jahren lernte ich zwei Jungs aus der Augsburger Gegend kennen, Toby und Dietrich. Zum damaligen Zeitpunkt standen bei uns allen Hot Rods und Kustoms groß auf der Fahne und wir pilgerten jedes Jahr zur Bottrop Kustom Kulture, wo man sich mit Gleichgesinnten austauschen konnte. Von Motorrädern war damals auch auf den großen Veranstaltungen wenig zu sehen, sie kamen erst ein paar Jahre später hinzu. So entwickelte auch Toby über die US-Car-Szene mit einem 1963 Chevy Pick-up seine Leidenschaft zum Schrauben, das war im Jahr 2005.
Nur kurze Zeit später folgte der erste Hot Rod, ein radikal gechannelter Roadster, den er aus den USA importierte. Daran schlossen sich unzählige andere Fahrzeuge auf vier Rädern an – im Moment ist es ein 1959 Ford Galaxie 500, den Toby für den TÜV vorbereitet. Doch mit dem Schrauben an den Autos kam auch immer mehr das Interesse an Motorrädern auf, besonders die alten Harley-Davidsons hatten es ihm angetan.
Auf der Suche nach einem Projekt
Toby begann sich mit Fachliteratur einzudecken und machte sich so mit den unterschiedlichen Modellen, Rahmen und Motoren aus den 30er- bis 60er-Jahren vertraut. Die unzähligen Details veranlassten ihn dazu, stundenlang in seinen Büchern zu lesen. Er erfuhr dabei, was wann, wo und wie verbaut wurde. Nebenbei hielt Toby bereits die Augen offen, um ein mögliches Projekt zu finden.
Gesucht und gefunden: 1950 Harley-Davidson Panhead
2011 war es schließlich soweit: Im Internet fand Toby eine Anzeige einer 1950 Harley-Davidson Panhead. Die Bilder waren schlecht, aber die technischen Daten klangen genau nach dem, was er gesucht hatte. So griff er sofort zum Telefon und schon nach einem kurzen Gespräch war ein Besichtigungstermin ausgemacht. Toby fuhr noch am selben Tag los, um das Objekt seiner Begierde zu begutachten.
Angekommen, war schnell klar, dass es mit einer Probefahrt eher schlecht aussehen würde. Denn die Harley stand seit einigen Jahren in einer dunklen Tiefgarage. Es waren nicht nur die Reifen komplett platt, auch der Tank war durchgerostet und der Motor schien defekt zu sein. Trotzdem war die Ausgangsbasis nicht schlecht, denn Rahmen, Motor, Getriebe und Tank waren original und unverbastelt. Der Wehrmutstropfen lag im Budget, denn die Kosten, bis die alte Panhead wieder auf der Straße rollen würde, waren somit im Vorfeld natürlich noch schwerer abzuschätzen. Aber auch das hielt Toby nicht davon ab, das Bike mitzunehmen.
An die Arbeit, ein Kustom Bike entsteht

Das Flying Bomb Vergasercover stammt von Handcraft Choppers. Dahinter verbirgt sich ein Linkert M61 Vergaser.
Kaum in der heimischen Werkstatt angenommen, ging es auch schon ans Eingemachte: Die Harley-Davidson wurde Stück für Stück in ihre Einzelteile zerlegt. Toby legte von Anfang an sehr großen Wert darauf, originale, alte Teile zu verbauen und die Spuren, die der Zahn der Zeit in den vergangenen Jahrzehnten an der Panhead hinterlassen hatte, zu erhalten und zu konservieren. So blieb der originale Wishbone-Rahmen blank und ohne jeglichen Lack, damit man jeden Kratzer und jede Delle gut sehen kann. Als Korrosionsschutz dient lediglich eine spezielle Wachsversiegelung. Der originale 3,5-Gallonen-Tank wurde chemisch entlackt, um das Rostleck verschweißen zu können.
Nachdem der Lack entfernt war, tat sich ein Fenster mit Blick auf die Geschichte der Harley-Davidson auf. Denn es wurden diverse Tankreparaturen sichtbar, die in den letzten Jahrzehnten mit Zinn und Hartlot verrichtet wurden. Toby konnte der Geschichte nun mit seinem Schweißgerät ein neues Kapitel hinzufügen. Um dem Tank das i-Tüpfelchen aufzusetzen, verbaute er die originalen Harley-Davidson-Embleme auf den Kopf gestellt. Ein kleines, aber feines und durchdachtes Statement. Toby ist keineswegs anti-Harley eingestellt, aber definitiv anti-Factory. „Fuck the Factory“, lautet sein Motto. Zudem kann er mit den aktuellen Motorrädern des Traditionsherstellers und dem Lifestyle, der um die Marke herum propagiert wird, nicht mehr viel anfangen. Seiner Ansicht nach wird der Mythos der vergangenen Tage von der aktuellen Firmenleitung und ihren Produkten nicht mehr wirklich verkörpert.
Der 61cui Harley-Davidson EL Panhead Motor
Weiter ging es mit dem originalen 1950 Harley-Davidson Panhead EL-Motor. EL steht dabei für 61cui (1000ccm) High Compression. Dieser Motor wurde nur von 1948 bis 1952 gebaut und ist dementsprechend selten anzutreffen. Der Motor und das Getriebe wurden zum Teil neu überholt und neu abgedichtet. Toby baute den Primärantrieb auf Sekundärkette um, damit die Schmierung durch die Motorentlüftung wegfällt und er ohne Primärkasten fahren kann. So wurde am Kupplungskorb ein Sekundärkettenritzel verschraubt, am Motor wurde ein abgeändertes Getrieberitzel verbaut. Für die nötige Spritversorgung sorgt ein originaler Linkert-M61-Vergaser, das Cover in Form einer fliegenden Bombe stammt aus der Schmiede von Handcraft Choppers. Gezündet wird über einen Morris Magneto mit Goodson-Magneto-Cover. Das Vierganggetriebe von 1953 wird über einen von Eric (Handcraft Choppers) aus deutscher Eiche gedrechselten Shifter geschalten. Der Auspuff ist ein Eigenbau aus Tobys Garage.
Anpassung der RL-Springergabel von 1934
Am Frontend war Geduld gefragt und es gab einiges zu tun. Schließlich wollte Toby eine sehr seltene RL-Springergabel von 1934 verbauen. Über ein Jahr musste er nach einem ebensolchen Exemplar suchen. Die Gabel war noch schwarz lackiert, aber schon während der oberflächigen Reinigung mit Nitro stellte sich heraus, dass sich der Lack leicht lösen lässt und darunter vier bis fünf ältere Lackschichten zum Vorschein kamen – eine Patina, die es zu erhalten galt und perfekt zum Gesamtcharakter des Bikes passte.
Um die Gabel mit dem originalen Wishbone-Rahmen zu verbauen, bedurfte es einiges an Denkleistung. Schließlich sollte die Springer möglichst im Original erhalten bleiben. So kam es, dass Toby den 7/8-Zoll-Lenkschaft nicht gegen ein 1-Zoll-Pendant ersetzen wollte. Er ging den aufwendigeren Weg, kürzte die Lagereinstellmutter und drehte sie auf einen Außendurchmesser von 1 Zoll ab. Dann wurde eine weiter Distanzhülse angefertigt, die das untere Stück des Lenkschafts stabilisieren sollte. Dank dieser Konstruktion mussten keine großen Änderungen an der Gabel vorgenommen werden.
Maßanfertigung von Cro Custom: Der Lenker
Der Lenker für die Harley-Davidson war ebenfalls ein besonderes Anliegen von Toby, ein Anliegen, das schlussendlich zu einer neuen Lenkerserie führte. Bei seiner Suche nach einem passenden Lenker stieß er auf die Arbeiten von Cro Custom. Toby kontaktierte Caleb Owns und fragte ihn kurzerhand, ob er ihm einen Lenker nach seinen Vorstellungen fertigen könne. Die knappe und klare Antwort folgte prompt: Ja! So tauschten sich die beiden aus und keine drei Monate später kam der Lenker auch schon bei ihm an, die Initialen von Cro Custom und die Seriennummer 001 eingeschlagen. Mittlerweile gibt es diesen Lenker regulär im Onlineshop zu kaufen. Visionen und Ideen zu haben, lohnt sich in jeder Hinsicht, denn offensichtlich kann jeder Einzelne damit Einfluss auf die gesamte Szene haben.
Die Details und weitere Pläne
Zu den unzähligen weiteren Details zählt auch das Unity Fog Light, das umgebaut als Scheinwerfer dient. Die Firma selbst gibt es schon seit 1918, sie stellte unter anderem für Ford in den 1930er- und 1940er-Jahren Nebelscheinwerfer und später auch Suchscheinwerfer her. Um die Gesamtoptik stimmig zu gestalten, tauschte Toby alle verchromten Teile aus oder entchromte sie. Sämtliche Schrauben und Anbauteile wurden sandgestrahlt und parkerisiert, um sie visuell altern zu lassen.
Insgesamt dauerte der Umbau ca. eineinhalb Jahre, doch ganz fertig wird die Harley-Davidson wahrscheinlich nie. Denn Toby hat ständig neue Ideen im Kopf, um das Bike weiter zu verfeinern. In der Zwischenzeit nutzt er aber jede Gelegenheit, um das zu tun, für was sie gebaut wurde: um sie zu fahren. Dabei scheut er keine langen Strecken und fährt auch mal wie dieses Jahr mit seinem langjährigen Freund Dietrich und dessen 1946er-Knucklehead quer durch Spanien. Im September soll es dann nach Caorle zum Roll’n’Flat Beach Race gehen.
Was kommt als Nächstes?
Wir werden sicherlich schon bald mehr von Toby hören, denn in der Zwischenzeit ist sein zweites Projekt nahezu vollendet: eine Shovelhead im Starrahmen von 1956. Das Konzept ist dieses Mal jedoch komplett konträr zu seiner Panhead, denn nun gibt es eine Sissybar, Fishtails, viel Chrom und Blingbling. Wir konnten schon einen ersten Blick darauf werfen und versprechen euch: Es wird gut!
Ein besonderer Dank geht noch an Eric von Handcraft Choppers.
Fotos & Text: Michael Schmidbauer
Technische Daten: 1950 Harley-Davidson Panhead „The Pan“
Baujahr | 1950 |
Marke | Harley-Davidson |
Rahmen | Original 1950 Wishbone |
Motor | Original Panhead 1950 EL, 61cui High Compression |
Vergaser | Original Linkert M61 (USA) |
Vergaser-Cover | Flying Bomb (Handcraft Choppers) |
Zündung | Morris Magneto mit Goodson-Magneto-Cover |
Getriebe | Original 1953 Viergang |
Auspuff | Eigenbau |
Gabel | Original RL-Springergabel 1934 |
Lenker | Cro Customs USA |
Tank | Original 1950, 3,5 Galonen |
Scheinwerfer | Unity Fog Light |
Rücklicht | 1960 Miller Bicycle aus England |
Bremsen | vorne und hinten Trommel mechanisch |
Reifen vorne | 21 Zoll Avon Speedmaster |
Reifen hinten | 18 Zoll Coker Diamond |
Fender | Gekürzter Fender von Easy Rider (Japan) |
Sitz | Solositz aus Australien, gefärbtes Känguruleder |
Galerie: 1950 Harley-Davidson Panhead „The Pan“















