In Deutschland hatte sich Mitte der 2000er eine kleine Gemeinschaft rund um traditionell umgebaute Fahrzeuge als Gegenpol zur normalen US-Car-Szene und zum modernen Tuning gebildet, diese war bereits seit einigen Jahren aktiv. Die Fahrzeuge und deren Besitzer kannte man zu diesem Zeitpunkt noch allesamt, der Kreis war klein, der Enthusiasmus groß.
Tauchte ein neues Fahrzeug auf, war dies eine Sensation, man kam ins Gespräch und freundschaftliche Bande wurden geknüpft. Wie in unserem Bericht über „The Pan“ schon geschrieben, lernte ich Dietrich und Toby vor über zehn Jahren in eben jener gerade im Entstehen begriffenen Szene kennen. Dietrich ging damals den radikalen Weg und fuhr mit einer Ikone vor: ein 1932er Ford 3 Window Coupé, nicht nur hierzulande ein wahrlich seltener Anblick, auch heute noch. Von einer Ikone zur nächsten, vom Deuce Coupé zur großen 1946 Harley-Davidson Knucklehead.
Harley-Davidson im Jahr 1946

Dietrich Mailer und seine 1946 Harely-Davidson Knucklehead. Den TT&CO Helm aus Japan hat er passend zu seinem Kustom Bike modifiziert und patiniert.
1946, der Krieg war gerade erst beendet und die amerikanische Zivilbevölkerung und die Kriegsheimkehrer schienen geradezu ausgehungert nach neuen Konsumgütern, so auch nach neuen Motorrädern zu sein. Insgesamt wurden in diesem Jahr ca. 15500 Harley-Davidson hergestellt, allesamt für den zivilen Markt. Doch die Zeit der Entbehrungen hatte noch weiterhin seine sichtbaren Folgen, denn einige Materialien waren weiterhin knapp, so zum Beispiel Chromium. Dies hatte zur Folge, dass die Motorräder noch einige Zeit weitestgehend ohne glänzende Accessoires auskommen mussten. Erst später im laufenden Produktionsjahr waren langsam wieder verchromte Anbauteile verfügbar.
Die Modelle erfuhren 1946 nur geringfügige Verbesserungen und Veränderungen, so wurde zum Beispiel der Neigungswinkel des Steuerkopfs angepasst, um das Handling zu verbessern, was sich jedoch in der Praxis als eine Verschlechterung im Vergleich zu den Vorjahren offenbarte. Aus antriebstechnischer Sicht gab es nur wenig Neues zu vermelden: Es waren weiterhin die seitengesteuerten Flathead-Motoren mit 45cid oder 74cid und die moderneren Knucklehead-OHV-Motoren mit wahlweise 62cid oder 74cid erhältlich. Die große 1946 Harley-Davidson Knucklehead gab es in diesem Jahr in drei Versionen: F, FL und FS – wobei F und FS (Seitenwagen) die Medium-Compression-Motoren verbaut hatten, die höhere Kompression gab es bei den FL-Modellen.
Die Knucklehead auf dem Weg nach Schwaben

Die Harley-Davidson Modelle mit den charakteristischen Knucklehead Motoren sind seit jeher heiß begehrt.
Mit einem Zeitsprung blicken wir ins Jahr 2007, wo genau 61 Jahre nach der Produktion eine 1946 Harley-Davidson Knucklehead Model 46F ihren Weg in die Werkstatt von Dietrich Mailer im Augsburger Umland fand. Model F, also eine Knucklehead mit 74cid, sprich 1200ccm Hubraum.
Wer heutzutage eine solche Maschine sucht, wird schnell auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Denn das Angebot ist sehr beschränkt und falls doch einmal etwas auftaucht, sind die Preise sehr hoch. Vor zehn Jahren sah die Lage noch etwas anders aus: Die alten Bikes wurden gerade erst wieder richtig von einer neuen Generation entdeckt und man fand noch das eine oder andere Exemplar zu einem bezahlbaren Kurs, manchmal sogar direkt in der Nähe. Dietrich hörte damals über Mundpropaganda von der nur 90 Kilometer von seinem Heimatort entfernten originalen Knucklehead und schlug sofort zu.
Die Harley-Davidson war vom Alter geprägt und hatte die typischen Chopper-Merkmale, die aber nicht in das zukünftige Konzept des Bikes passten. Fahrbereit war die alte Maschine aus Milwaukee allerdings nicht, denn ein Vergaserbrand und eine riesige Öllache waren überdeutliche Zeichen für eine erforderliche Komplettüberholung. Nachdem der Umbau bereits fertig geplant war, ging es an die Umsetzung, die in mehreren Etappen stattfinden sollte.
Die Vision
Dietrich war von vornherein klar, dass er auf den patinierten, alten Look setzen will, dafür war es nötig, in die Trickkiste zu greifen, denn die nötigen Teile für die Restaurierung waren anders als derzeit nur glänzend erhältlich, was den Gesamteindruck des Bikes zerstört hätte. Also mussten diese Teile parkerisiert werden, um sie künstlich altern zu lassen. Viele Projekte, die man zu Gesicht bekommt, scheitern oft an den Details. Nicht so bei Dietrichs Kreation: Bei ihm steht die Stimmigkeit der Details im Vordergrund. So wurden etwa alle Inbus-, Chrom-, und Kreuzschrauben komplett durch alte Schlitzschrauben ersetzt. Seltene Teile, wie zum Beispiel das Goodson-Magneto-Cover oder der Landstrom-Rocket-Air-Cleaner, die bei uns nicht aufzutreiben waren, bestellte er in den USA – oft noch per Fax und mit klassischer Auslandsüberweisung. So gut wie alle Lieferungen gingen dabei auch noch ohne Zoll durch den Versand, glorreiche Zeiten!
Der Umbau

Die Gabel an der Knucklehead ist eine original Harley-Davidson Inline-Springer. Der Vorderreifen ist von Firestone.
Im darauffolgenden Winter ging es in die zweite Phase des Umbaus. Nun wurde zum Beispiel eine Joe-Hunt-Magnetzündung aus den 60er-Jahren wieder auf Vordermann gebracht und das komplette Innenleben erneuert, um einen brauchbaren Funken zu erzeugen. 2012 kam dann der Rückschlag: Bei einer Ausfahrt brach der Rahmen der alten Knucklehead. Ein schwerwiegendes Problem, denn die Gussstücke, die den Rahmen miteinander verbinden, wurden damals hartgelötet. Doch Dietrich schaffte auch diese Hürde und brachte die Harley wieder auf die Straße. Zwei Jahre später stand nun der komplette Neuaufbau von Motor und Getriebe auf dem Programm, inklusive einigen Alugussschweißarbeiten an den beiden Gehäusen. Zeitgleich ersetzte er den SuperE-Vergaser von S&S durch einen originalen M35-Linkert, was ihm bei Ausfahrten eine zusätzliche Reichweite von 40 Kilometern brachte. Da Dietrich sehr viel unterwegs ist, verbaute er einen starren Baudenzug als Gaszug, was wie ein Tempomat wirkt, denn nun kann man das Gas bei jeder gewünschten Position halten.
Spaß am Fahren
Das Bike und die zahlreichen seltenen Parts, die daran verbaut wurden, sind heutzutage sehr gefragt und nur schwer und zu einem hohen Preis zu bekommen. Für Dietrich war die 46er-Harley-Davidson die beste Investition und Wertsteigerung der letzten zehn Jahre, doch dies ist für ihn nicht das Wichtigste: Das ist nach wie vor der pure Spaß am Fahren. Er fährt das Bike, so oft es nur geht, und genießt jede einzelne Ausfahrt. Mal sehen, welche Ermüdung zuerst eintritt: Mensch oder Maschine?
Fotos & Text: Michael Schmidbauer
Technische Daten: 1946 Harley-Davidson Knucklehead „The Knuckle“
Rahmen | Original 1946 Harley-Davidson Straightleg Bull Neck |
Gabel | Original Harley-Davidson Inline-Springer |
Motor | Original 46F, Harley-Davidson-020-Kolben-Übergröße, Lightning-Steuerräder & -Nockenwelle, originale Harley-Davidson-Kurbelwelle |
Vergaser | Linkert M38 |
Luftfilter | Landstrom Rocket-Cover |
Zündung | Joe Hunt Magnetzündung, 60/70er-Jahre |
Getriebe | Original Four-Speed |
Antrieb | 3-Zoll-Primär-Belt |
Öltank | Horseshoe |
Vorderrad/Hinterrad | 16-Zoll-Speichen, Starhub |
Bereifung vorne/hinten | Firestone Champion Deluxe 6.00-16, Coker Tire |
Bremsen vorne/hinten | Trommel |
Tank | Sportster mit eingestanzten Louvers und HD-Tankemblem 1961–62 |
Tankdeckel | Crime Scene Chopper (leicht modifiziert) |
Lackierung Benzintank und Öltank | Sailor-Vintage-OneShot-Bemalung |
Sitz | Tuck’n’Roll Mooneyes Japan |
Rücklicht | 1929 Cadillac (Strahlt in 4Richtungen) |
Eigenbau | Auspuff, Lenker, Schalthebel, Sissybar, Kennzeichenhalter, Middle controls, Scheinwerfer Kreuz und Halter |
Besonderheiten | alle Leitungen Benzin, Öl, Baudenzug sind starr |
Motorrad-Helm | TT&CO (direkt nach dem Kauf aus Japan erstmal modifiziert und ebenfalls auf Alt gemacht) |
Galerie: 1946 Harley-Davidson Knucklehead „The Knuckle“






















